Chronik

Neuhaus

Entstehung und Untergang eines Dorfes

Dieser Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Genauigkeit. Über die Geschichte unseres Ortes ist nichts niedergeschrieben worden, wir haben nur die mündlichen Überlieferungen und die noch sichtbaren Überreste aus der Bergmannszeit. Ich möchte nun versuchen, einen kleinen Bericht für unsere jüngere Generation beizusteuern, damit unser einstiges kleines Dörfchen nicht ganz in Vergessenheit gerät.

Die Besiedlung dürfte mit der Erschließung des Bergbaugebietes Hirschenstand bzw. Frühbuß zusammenhängen, aber erst im 17. Jahrhundert erfolgt sein, wo Bergleute das dicht bewaldete Hochtal an der oberen Rohlau rodeten und neben dem Bergbau eine kleine Landwirtschaft betrieben. Dem Dialekt nach kamen die Bewohner wohl vorwiegend aus dem sächsischen Raum. Die Bezeichnung des Ortsnamens kam von dem ersten neuen Haus, das dort gestanden sein soll, wo zuletzt das Haus Nr. 37 (bei der Glocke) war. Bei dem hölzernen Glockenstuhl wurde damals bei Beginn und Ende der Schachtarbeit geläutet. Dort war die Schmiede, in welcher die Werkzeuge der Bergleute überholt wurden. Das zinnhaltige Erz wurde zuerst im Tagebau gegraben. Als Zeugen dafür haben wir die sogenannten "Tischerhalden", die sich westlich des Kellerbaches bis in den Frühbußer Wald hinein erstrecken. Wahrscheinlich wurde dieses zinnhaltige Gestein im vorbei fließenden Kellerbach "gesaift", also gewaschen. Ein weiterer Anhaltspunkt ist das "Saifenbachl", das auf halbem Weg in Richtung Neuhammer vom Hirschkopf kommend in die Rohlau fließt. Hier liegen noch am Bachl und links und rechts der Straße die kegelförmigen, jetzt überwachsenen Gesteinshalden, die uns an jene Zeit erinnern. Später grub man waagrechte Stollen in den Berg hinein. Ein sichtbarer Rest davon befand sich noch hinter dem Haus Nr. 91 beim "Schmiedantonich-Daniel".

Das danebenstehende "Lichthäusi" (Transformatorenhäuschen) stand auf den aufgeschütteten, später eingeebneten Gesteinshalden. Die aus dem Berg herausgeholt wurden. Unsere älteste Bürgerin, die Kaufmannsfrau Berta Fickert, schreibt in ihrem Bericht in unserem Heimatbuch, dass dieser Platz früher "beim Pucherich" benannt worden ist. "Pucherich" bzw. "Pocherich" war die mundartliche Bezeichnung für einen wassergetriebenen Pochhammer, mit dem die Erzbrocken zerkleinert worden sind. So kann dort ein solcher Hammer gestanden sein, der mit der Wasserkraft des nahen Tannel- bzw. Rohlaubaches betrieben wurde. Im Deutschen Museum in München, in dem die frühere Erzgewinnung so präzise gezeigt wird, ist so ein primitiver, mit einem Hasserrad betriebener Pochhammer auf einem Bild zu sehen. Im Wald, in der Nähe der Straße nach  Hirschenstand, sieht man noch die langgezogenen  Mulden  eines eingesunkenen Schachtstollens. Der Wassergraben, der vom Schwabhaus abwärts die nordöstlichen Häuser des Dorfes mit Trinkwasser versorgte, kommt aus diesem Stollen. An der höchsten Stelle der Hirschenstander Straße, in der Nähe des Bildstockes "Beim Bild", liegt das trichterförmige  Zechenloch, im Volksmund "bei der Zach" benannt, wo einmal ein senkrechter Schacht in den Boden führte. In unserem Neudeker Heimatbuch, wo Herr Bleilöb die Geschichte des Bergbaues schildert, steht auf Seite 327, dass im Jahre 1864 der letzte Neudeker Bergmeister ein letztes Mal in diese Hirschkopfzeche einstieg und beim Absteigen die Sprossen der Leiter über sich abgesägt haben soll, um nicht mehr ans Tageslicht gelangen zu können. Er konnte den Niedergang des Bergbaues nicht überwinden.

Bemerkenswert ist auch der ehemalige künstliche Wassergraben, der vom Kellerbach abzweigend am südlichen Hang unseres Dorfes "am Grabenwinkel" vorbei und durch den Wald mit leichtem Gefälle bis fast ins östliche Trinksaifen führte. Ob er wohl von den Köhlern gebaut wurde? Denn neben dem Bergbau war damals die Köhlerei ein wichtiger Erwerbszweig; die Holzkohle wurde zum Schmelzen des Erzes in den Hochöfen gebraucht. Viele sogenannten Heilerstätten in den Wäldern erzählen uns noch aus jener Zeit. Es muss auch  zur damaligen Zeit noch wilde Tiere gegeben haben; der Fußsteig, der im Südosten des Dorfes nach Trinksaifen führte, wurde 'Bärensteig genannt, der Weg von der Basteibrücke ab nach Frühbuß trug die Bezeichnung "Am Wölfel".

Als dann der Bergbau unrentabel wurde und versiegte, kam eine Notzeit. Haupterwerb war nur noch das Spitzenklöppeln, das als Heimarbeit über zwei Jahrhunderte lang der Bevölkerung neben der kargen Landwirtschaft ein sicheres, wenn auch bescheidenes Einkommen bot. Es war eine schöne und saubere Arbeit, die viel Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit erforderte und schon vom 6. Lebensjahr an von Mädchen und Buben erlernt wurde; zuerst nur mit einfachen schmalen Borten und später mit großen Mustern, die zu Tisch- und Bettdecken und dergleichen zusammengenäht  wurden. Ja, fleißig musste man dabei schon sein. Diese Handarbeiten wurden dann von den Händlern in den großen Städten Böhmens und Sachsens abgesetzt. Es ging bei dieser Arbeit sehr gesellig zu und man kam da abwechselnd von einem zum anderen Nachbarn in der "Rockenstube" mit seinem "Klöppelsack" zusammen, man ging "zerrocken". Es wurde nebenbei erzählt und gesungen und vor allem von den Jüngeren mancher Streich dabei angestellt. Die Männer und Buben klöppelten meist nur in den Wintermonaten und wenn man bedenkt, dass zu Allerheiligen schon der erste Schnee fiel und bis Ende April liegenblieb, so war das eine lange Zeit. Der Mai mit seiner so an Vielfalt auftretenden Blumenpracht der Bergwiesen ließ dann den Winter bald vergessen.

Ein weiterer Erwerbszweig war dann im Sommer das Sammeln der Heidel- und Preiselbeeren, mit denen die umliegenden Wälder ja geradezu gesegnet sind. Diese wurden dann von den Beerenhändlern in den nahen Industrieorten Sachsens verkauft. Die Pilze des Waldes wurden gedörrt  und  hingen dann im "Schwammersack" an einer warmen Stelle über dem Herd, eine willkommene Bereicherung des Speisezettels im Winter.

Unser Ort lag in einer Talerweiterung, die im Osten gegen Neuhammer und im Westen gegen Sauersack mit einer Talenge abschließt, von beiden Seiten kommen die Seitentäler des Tannel- und Kellerbaches, ringsum von Bergen mit hohem Fichtenwald eingerahmt. Die höchste Erhebung ist der Bergrücken des Hischkopfes mit 940 m, die mittlere Höhe des Ortes selbst war fast 900 m. In der östlichen  Mitte  des einstigen Dorfes steht ein Waldstück, die "Haad", auf dessen höchster Stelle sich ein viereckiger Felsstock befindet, der sogenannte "Steinfels" der mit einem Kreuz geziert ist. Auf der Wiese daneben ist ein weiterer Fels, der die Form eines ca. 4 m hohen aufrecht stehenden Eies hat, eine Sehenswürdigkeit also, der wir daheim damals gar keine Beachtung schenkten. Die Häuser standen einzeln verstreut in ihrem Grundstück. Die Gebäude aus der Gründerzeit waren noch aus Holz gebaut, der mit dem Haus verbundene Stall war aus Granitsteinen. Über den Räumen war der Heuboden, der im Winter warm hielt. Hinter dem Haus lag der Holzplatz, wo das von Jung und Alt vom Wald geholte Holz kleingemacht wurde. Im Herbst zeigten dann die meilerförmig aufgestellten Holzstöße vom Fleiß des Holzmachers, denn Kohle wurde früher wenig gekauft.

In der Zeit zwischen dem Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges bot die Spinnerei in Neudek für einen Teil der Bewohner Erwerb. Zu der Heimarbeit der Spitzenerzeugung kam dann noch die Handschuhnäherei, wo die schon zugeschnittenen Teile zusammengenäht, bestickt und fertiggestellt wurden. Ein Teil der Männer waren Holzfäller, viele waren als Handwerker in Neudek und im nahen Sachsen in den Industrieorten beschäftigt. Letztere fuhren meist schon am Sonntagabend los und kehrten erst am folgenden Samstagabend wieder zu ihren Familien zurück, ein hartes Stück Leben also.

An Betrieben gab es ein Sägewerk, das früher  eine  Mühle war, einige Kaufmanns- und Gewerbebetriebe und, bemerkenswert für den Ort, zeitweise fünf Gasthäuser. Zum Tanzsaal Götz kamen oft Gäste aus den Nachbarorten und es ging da ganz lustig zu. Der landwirtschaftlich genutzte Boden bot die Milchwirtschaft und den Anbau von Kartoffeln; Getreide reifte nicht mehr aus. Der Wald lieferte Holz für  Sägewerke, für die Holzschleifereien und die Papierfabrik in Neudek.
Neuhaus gehörte zur Pfarrgemeinde Hirschenstand. Um 1900 wurde der Ort selbständige Gemeinde und soll vorher zwischenzeitlich von der Gemeine Sauersack mit verwaltet worden sein. Der Überlieferung nach waren die Bürgermeister:

Johann Fickert          (Tischer Johann)
Josef Ullmann   Nr. 17 (Gaql Seff)
Josef Ullmann   Nr. 23 (Girchadel Seff)
Ernst Fickert   Nr.  1 (Tischer Ernst)
Josef Ullmann   Nr. 21 (Peterschuster Seff)
Leo Fickert     Nr. 10 (Adolfen Leo)
Rudolf Wohner   Nr. 24 (Paulhansen Rudolf)
Josef Ullmann   Nr. 97 (Pilzen Pepp)

Die auch um 1900 neugebaute Schule war zwar bloß zweiklassig mit zusammen vier Abteilungen, aber stets mit guten Lehrern besetzt. Vorher wurde im Hause Nr. 33 unterrichtet. Die Kreisstraße, die durch das idyllische Rohlautal von Neuhammer über Neuhaus nach Frühbuß führte, wurde vor 3.900 gebaut. Die Fahrverbindung ging früher vom Kreuzweg über Trinksaifen nach Neudek.
Zur Zeit der Aussiedlung zählte der Ort 80 Häuser, zwei Häuser gehörten zur Gemarkung Frühbuß. Es waren  367 Einwohner verzeichnet, davon sind 21 Gefallene und Vermisste zu beklagen. 76 Familien wurden in die Bundesrepublik ausgesiedelt, 15 Familien in die Ostzone, eine Familie  wurde zurückbehalten und kam später ins tschechische Gebiet. Nun sind die Bewohner in alle Winde zerstreut, die  einst mit so viel Liebe gepflegten Wiesen und Äcker sind von wildem Gras überwuchert, die Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Waldanflug wächst auf den Narben, die die Häuser hinterlassen haben. Man findet nur noch Reste vom Schulhaus und vom Sägewerk. Mit etwas Wehmut mag wohl gar  mancher an seine Jugendzeit zurückdenken, wo wir im Sommer auf der Suche nach Beeren und Pilzen unsere Bergwälder durchstreiften, wo wir im Winter mit Ski und Rodel über die tief verschneiten Wiesenhänge fuhren, wo wir in unserer kleinen Dorfschule die ersten Heimatlieder sangen. Was ist aus dir geworden, du kleines Dorf im Rohlautal?

Ernst Ullmann

Plan von Neuhaus im Erzgebirge

Das Lied des Bergmanns,
das damals noch gesungen wurde:

Schon wieder tönt vom Schachte her
des Glöcklein leises Schellen,
lasst eilen uns, nicht zaudern mehr,
zum Schachte lasset uns wallen.
Den Lieben gebt den Abschiedskuss
und scheidet mit dem Bergmannsgruß,
so ist unser Schicksals Lauf.
"Glück auf, Glück auf, Glück auf, Glück auf".

Ade ihr Lieben weinet nicht,
den Tod nicht scheu' n ist Bergmanns Pflicht.
Wir fahr' n dann zum Himmel hinauf.
"Glück auf, Glück auf, Glück auf, Glück auf".